Dienstag, 26. Juli 2011

Montag, 25.07.2011:

Wenn ich in den Spiegel sehe, dann sehe ich nur mich. Und das ist auch gut so. Ich muss auf niemanden achten, kann machen, was ich will. Ich kann alles ficken, was mir ins Bett kommt.
Aber sobald ich dein Foto ansehe, kann ich einfach nicht mehr so tun, als würde das reichen. Es ist, als hätte man mir ein Bein abgehackt. Ich hüpfe einfach weiter so durch's Leben und sage mir, dass es eigentlich ja auch ohne das Bein geht und dass ich sowieso immer über den anderen Fuß gestolpert bin, als ich noch zwei hatte. 
Aber manchmal merke ich, dass etwas fehlt. Nur um es dann gleich wieder zu verdrängen und Ausreden für meine Schwäche zu erfinden. Ich sage mir, dass ich mein Abi machen will und ein Freund mir ohnehin nur im Weg wäre, zu viele Schmerzen mit sich bringen würde. Dass ich nur noch trauriger, alles nur noch schlimmer werden würde. 
Warum sollte es anders sein, als vorher? Habe ich nicht selbst gesagt, dass ich ihn nicht liebe? Vielleicht ist das die Wahrheit und ich bin nur verliebt in die Vorstellung, meine Erinnerung, und dies ist ein verzweifelter Versuch, sie zu beleben. Aber vielleicht war ich auch einfach nur dumm. Vielleicht habe ich vergessen, wie sehr ich ihn liebe, vielleicht wusste ich es nie, vielleicht wurde es mir erst bewusst, als ich ihn verloren hatte und sich einfach nicht die erwartete Gleichgültigkeit einstellen wollte.

Samstag, 23. Juli 2011

Freitag, 22.07.2011: Aus den Tagebüchern eines Mörders – Heute ich, morgen eine Mörderin

Was würdest du tun, wenn auf einmal um dich herum der Krieg ausbrechen würde? Wenn der Himmel über dir herabstürzt, die Fluten alles mit sich reißen: Dein Leben, dich selbst und deine Zukunft? Du bist vollkommen unvorbereitet, die blanke Panik in dir. Angst, so viel Angst. Und über allem liegt der Schleier der Verzweiflung.

Auch ich war verzweifelt, auch wenn das eigentlich nicht auszudrücken vermag, wie ich mich wirklich gefühlt habe.. Gerade eben war ich noch bei H&M gewesen, beim Sommerschlussverkauf, und hatte sogar ein oder zwei Teile erbeutet, obwohl ich doch immer so wählerisch war. Und dann? Als das Geräusch von vielen, vielen Hubschraubern zu hören war, blieben alle stehen, wie gebannt, und suchten den Himmel ab. Es schob sich der Erste hinter einem Hochhaus hervor, er hielt genau auf den Platz zu, auf dem ich stand. Plötzlich waren überall panische Leute, alle schrien und liefen um ihr Leben, denn allen war klar, dass diese fliegenden Ungeheuer nicht gekommen waren, um ihre Flugkunststücke vorzuführen. Ich sah, wie ein Kind unter den blinden Tritten der Massen starb. Nur ich blieb stehen, wie fest gewachsen.
Das konnte nicht wahr sein. Das passierte nicht wirklich, nur ein Traum. Ich würde aufwachen und mich ärgern, dass ich ihn schon wieder nicht unter Kontrolle bekommen hatte. Ich würde auf die Uhr sehen und aufstehen, um mich anzuziehen, obwohl es noch viel zu früh war. Weil ich wissen würde, dass ich nach einem solchen Traum sowieso keine Ruhe mehr finden würde. Aber das war kein Traum.
Als die Hubschrauber das Feuer eröffneten und die ersten Menschen getroffen von den rennenden Massen verschluckt wurden, rannte ich. Ich wusste nicht wohin, aber die Angst ließ mich laufen. Mir liefen die Tränen über's Gesicht, ich wollte weg. Ich wollte einfach nur weg, aufwachen. Ich wollte nicht sterben, ich konnte nicht... glauben, dass das wirklich passierte. Trotzdem rannte ich. Ich lief in ein Geschäft und versteckte mich hinter dem Tresen. Hier musste ich einfach sicher sein, ich konnte nicht wirklich sterben. Und doch hatte ich solche Angst. Todesangst. Panik.
Männer sprangen aus den Hubschraubern und schossen um sich. Jeder Treffer eine Freikarte für den Tod.
Nur der Eine, der war ganz allein für mich bestimmt, oder besser: Ich war ganz allein für ihn bestimmt. Er war groß und dunkelhaarig und hatte nichts Menschliches in den Augen. Er beachtete die Anderen gar nicht, und obwohl er keine Uniform, sondern nur ein weißes Leinenhemd trug, wurde er kein einziges Mal auch nur von einer Kugel gestreift. Er hatte kein Maschinengewehr, nur eine einfache Pistole in der Hand. Er brauchte kein Maschinengewehr, um mich umzubringen; und das genügte ihm. Während ich ihn auf mich zukommen sah, schien alles um mich herum zu verstummen und die Welt ohne mich weiter zudrehen. Ohne mich und den Mann. Die Zeit blieb stehen, nur er und ich, wir gingen weiter. Wir rannten.
Ich blieb einfach da hocken, in meine Ecke gedrückt. Es hätte keinen Sinn gemacht, wegzulaufen. Es gab keinen Weg hier raus. Und er hätte mich ohnehin eingeholt. Als er über mir stand und mir in die Augen sah, verzerrte sich sein Gesicht vor Hass. Ein Hass, der keinen Gedanken zulässt, jeden Anflug von Menschlichkeit im Keim erstickt.
Was hatte ich getan? Was hatte ich ihm getan? Ich hatte diesen Mann noch nie zuvor in meinem Leben gesehen. Und doch hasste er mich so sehr, so unglaublich stark, dass er mich tot sehen wollte. Ich wusste irgendwie, dass er mich nur für das hasste was ich war, nicht dafür, wer ich war. Aber dennoch war es ihm aus unerklärlichen Gründen wichtig, genau mich umzubringen.
Er kam noch näher und setzte mir die Pistole auf die Brust, ganz langsam. Meine Angst überschlug sich, es war eine unbeschreibliche Panik in mir. Und dann stach aus dem Chaos der Verzweiflung plötzlich ein einziger Gedanke klar und deutlich hervor:

„Ich will nicht sterben. Ich will nicht sterben. Ich will verdammt nochmal nicht sterben!“

Ich griff nach der Pistole und drehte sie weg von mir, versuchte sie irgendwie in die Finger zu bekommen, bevor er abdrücken konnte, doch er war viel stärker als ich. Berge von Muskeln spannten sich an seinen Armen und ich hatte keinerlei Chance.
Aber ich wollte nicht sterben. Und dieser Gedanke war so stark, dass ich die Pistole zu ihm hin drehen konnte, bis sie ihm aus der Hand fiel. Ich griff nach der über den Boden rutschenden Waffe und richtete sie auf ihn. Ich stieß ihn um – wehrlos, wie er nun war, bis er auf dem Boden lag, so wie ich zuvor. Ich sah ihm in die Augen.
Ich drückte ab.
Nichts passierte. Immer noch sahen wir uns in die Augen, er fast erwartungsvoll. Ich suchte nach diesem Riegel-Dingens zum Entsichern und drückte wieder ab, ohne auch nur eine Sekunde zu warten. Diesmal gab es einen lauten Knall und der Mann sank zu Boden. Er war sofort tot und ich sofort weg. Ich brauchte nicht noch einen Blick in seine leeren Augen werfen. Nicht noch einen Blick in dieses maschinengleiche Gesicht.
Ich rannte. Rannte aus dem Laden und so schnell ich konnte durch das Kampfgetümmel. Überall roch es nach Tod, der der Wut der fremden Männer Ausdruck verlieh. Ich rannte, dachte nicht an die anderen Menschen. Ich rannte mit der Waffe in der Hand und mein wirklich einziger Gedanke, war nach Hause und in Sicherheit zu kommen. Einmal stolperte ich fast über die Leiche einer bis zur Unkenntlichkeit zertreten Frau, die noch immer ihr schreiendes Baby im Arm hielt. Ein Soldat schoss ihm ins Gesicht und es war still.  
Ich rannte weiter, weg von diesem Ort, den es nicht geben durfte. Nicht geben konnte. Wir lebten im 21. Jahrhundert. In Deutschland, mitten in der Zivilisation! Da gab es so etwas nicht, nein!
Ich lief über die Brücke und wich den Kugeln vorbei rennender Soldaten aus, lief einfach. Ich bog links von der Brücke ab und rannte weiter am See entlang. Den Weg, den ich morgens immer mit dem Fahrrad fuhr. In einer anderen Welt.
Ein paar Mal musste ich mich im Gebüsch verstecken, weil mir Soldaten entgegen kamen. Dann kam keiner mehr, ich war weit genug vom Herd des Kampfes entfernt. Bald würde ich zu Hause sein.
Da hämmerte es mir wie eine Faust ins Gesicht, was ich die ganze Zeit aus meinem Kopf zu verdrängen versucht hatte:
Ich hatte einen Mann getötet. Ich hatte ihn umgebracht, ermordet. Ich hatte ihm sein Leben genommen, seine Zukunft, die Chance auf Liebe. Ich hatte ihn seiner Familie geraubt und seinen Freunden ein Loch in die Brust gerissen. Ich hatte ihn erschossen. Ohne zu zögern, ohne auch nur einmal mit der Wimper zu zucken. Jetzt war er tot.
Und dass ich abgedrückt hatte, um mich selbst vor dem Tod zu bewahren, machte es nicht besser. Ich war eine Mörderin.
Mörderin.
Ich, Leyla Lee.

Man Down - Rihanna

Mittwoch, 13. Juli 2011

Dienstag, 12.07.2011: Aus der Zukunft

Nachts, wenn die Welt schlief und ihre Augen und Ohren verschloss, hielt ich in meinem Zimmer meine Geheimsitzungen mit mir selbst. Niemand wusste davon und meine Eltern denken wohl heute noch, dass ich tief und fest schlief.
Aber in Wirklichkeit machte ich die Nacht zur Tanzfläche meiner Träume – still und heimlich natürlich, denn ich durfte ja keinen wecken. Eine Kanne Tee, meine Gitarre, mein Computer und das Chaos in mir selbst, das ich zu ordnen versuchte, waren meine einzigen Begleiter.
Ich las und schrieb die ganze Nacht. Songs, Gedichte, Gedanken, alles wanderte auf's Papier. Ich schmiedete Pläne, meine Träume zu verwirklichen, das Chaos in mir zu bändigen.
Ihr werdet jetzt fragen, ob es mir gelungen ist. Ob ich all' meine Ziele erreicht habe. Aber woher soll ich das jetzt schon wissen? Schließlich ist meine Reise noch lange nicht zu Ende.

Samstag, 23.04.2011: Mit dem Nachtzug nach Paris - Die Reise

Der Zug setzte sich mit einem Ruck in Bewegung und mit jedem Meter, den er rollte, brachte er mich weiter weg von meinem Leben. Jedenfalls von meinem Leben in Deutschland. Die nächsten drei Wochen würde ich alles hinter mir lassen. Den Stress mit dem überempfindlichen Freund meiner Mutter, den Leistungsdruck in der Schule und auch meinen uninteressierten „Nicht-Mehr-Lang'“-Freund – all' das blieb neben meiner winkenden Familie auf dem Bahnsteig zurück.
Ich ließ mich in meinem Sessel zurück sinken. Auf dem Nebensitz quetschten sich zwei meiner besten Freundinnen, Lala und Lulu. Sie hatten sich vor der Abfahrt noch schnell eine Bravo am Bahnhofskiosk gekauft und ließen sich jetzt die niveaulosesten Artikel zusammen mit den Sckokobonschen auf der Zunge zergehen. Gegenüber saßen – ebenfalls eng zusammengedrückt – Sylvia, Mella und Joe. Sissi hatte sich gleich nachdem wir uns hingesetzt hatten , ihre Kopfhörer aufgesetzt und musterte jetzt mit einem abschätzenden Blick ihre Fingernägel, als würde sie darüber nachdenken, ihren Drei-Pfund-Koffer von der Gepäckablage zu hieven und sie auf der Stelle neu zu lackieren. Mella saß auf dem Übergang zwischen zwei Sesseln und beklagte sich abwechselt über ihren unbequemen Platz und darüber, dass sie ihre Gitarre hatte zurücklassen müssen und wahrscheinlich drei Wochen nicht würde üben können. Neben ihr saß Joe, in den sie lange Zeit verliebt gewesen war. Ihre Romanze hatte jedoch zu ihrem größten Unglück ein jähes Ende genommen, als sie ihm ihre Liebe gestanden hatte. Joe kannte ich am schlechtesten. Er war nicht nur der einzige Junge, sondern auch noch als einziger nicht in meiner Klasse und daher noch relativ still, was sich aber bald legen sollte.
Wie ich also so da saß und meine Freunde der Reihe nach musterte, wurde mir klar, dass es nicht viel gab, was ich wirklich vermissen würde. Meine Mama würde ich vermissen, meine Gitarre und meine Freundin Mera, die ich in der sehr schwierigen Phase nach der Trennung von ihrem Freund hatte allein lassen müssen. Aber das ist eine andere Geschichte und soll an einer anderen Stelle erzählt werden.
Wir nahmen den Samstags-Zug um 19:20 Uhr und kamen gegen 21:45 Uhr in Hannover an, wo wir in unseren Nachtzug umsteigen würden. Zunächst stürmten wir jedoch – mit Ausnahme von Joe und Mella, die sich noch nie sehr für Dinge wie Schmuck und Taschen interessiert hat – den Assezorize im Bahnhof, da wir so was zu Hause ja leider trotz eingehender Proteste immer noch nicht hatten. Bald überwog unser Hunger jedoch und da unser Zug bereits um 22:16 Uhr wieder fahren würde, machten wir uns auf die Suche nach etwas Essbarem. Nur Mella war ausnahmsweise ausgezeichnet vorbereitet und hatte sich sogar ihr eigenes Rührei inklusive Salzstreuer mitgebracht.
Nachdem wir den Bahnsteig mindestens zwei Mal abgelaufen hatten, da wir zunächst die falsche Richtung eingeschlagen hatten und somit auch am falschen Ende angekommen waren, stiegen wir endlich – gerade noch rechtzeitig – in den Zug, der uns bis zum nächsten Morgen in die Stadt der Liebe, nach Paris bringen sollte.
Unser Abteil war so winzig, dass man es wahrscheinlich noch nicht mal für einen Kanarienvogel artgerechte Haltung hätte nennen können. In der Mitte führte ein schmaler Gang zum Fenster, links und rechts davon befanden sich jeweils drei brettartige Liegen, bei deren bloßem Anblick ich schon Rückenschmerzen bekam. Da es jedoch enorm an Platz mangelte, weil alle gleichzeitig in das Abteil stürmten, ihre Schuhe über den Fußboden verstreuten und Mella und Lala außerdem noch nicht ganz platzsparend versuchten, das Fenster zu öffnen, kletterte ich schließlich doch auf meine Liege in der Mitte der linken Regalreihe. Zu meiner eigenen Überraschung fand' ich's geil! Es war auch gar nicht so unbequem, wie ich es mir vorgestellt hatte.
Als sich alle einigermaßen vom Einstiegs-Stress erholt hatten, richtete sich bald die allgemeine Aufmerksamkeit auf Lala und Mella, die immer noch vergeblich versuchten das Fenster zu öffnen, welches allerdings gar nicht daran dachte, sich auch nur einen Nanometer von der Stelle zu rühren. Doch auch dieses Problem lösten wir bald mit dem genialen Tipp eines desinteressierten Bahnangestellten, der uns erklärte, wir sollten das Fenster einfach herunter ziehen. Danke! Darauf wären wir echt von allein nicht gekommen!
Schließlich, als wir auch den letzten Koffer in diese Sardinendose von Abteil gequetscht hatten, konnte uns nichts mehr dort drin' halten. Schnell entdeckten wir die Fenster auf dem Gang für uns. Man konnte sie bis zu ihrer Hälfte hinunter ziehen und seinen Kopf hinaus strecken. Diese Aktion muss ich übrigens bei Gelegenheit unbedingt noch zu meiner Liste von unterhaltsamen und faszinierenden Singen hinzufügen – wirklich, ihr könnt euch gar nicht vorstellen, wie witzig das war. Bei geschätzten 200 km/h die Haare im Wind zerzausen lassen und die Welt an sich verbeisausen sehen, den Blick auf den Sternenhimmel über dir gerichtet, der dir immer wieder in Erinnerung ruft, wie klein du wirklich bist – so groß du dich auch in diesem Augenblick fühlen magst.
Irgendwie und irgendwann landeten wir dann aber doch alle im Bett – diesmal hatte aber jeder sein eigenes. Es war eng und ich habe mir mindestens ein Mal den Kopf an Lulus Liege über mir gestoßen, aber das Gefühl war großartig. Great feeling! Die Nacht in diesem doch relativ unbequemen engen Bett und ohne richtigen Luftaustausch gehört wohl zu den tollen Erfahrungen, deren Großartigkeit sich nicht wirklich erklären lässt.
Als ich um 7:45 Uhr nicht mehr weiter schlafen konnte, beschloss ich, den Tag für mich mit einem Frühstück zu beginnen, auch wenn alle anderen noch schliefen. Ich entschied mich jedoch gegen die „Heißen Muntermacher“ und „Stärkendes Am Morgen“, das auf der Speisekarte der DB angeboten wurde und für mein mitgebrachtes Essen. Mit anderen Worten: Mein frühstücke bestand aus Apfel, Keks und Wasser.
Gegen acht Uhr befand ich es außerdem für allerhöchste Zeit, die anderen zu wecken. Ich warf Mella, die weiter unten gegenüber von mir schlief, ein Kopfkissen ins Gesicht und krähte: „Aaauuuuuuuufsteheeeen! Es ist soweit, in 23 Minuten sind wir in Parihiiis!“ Das dachte ich zumindest. Lala reagierte als erstes und fragte: „Was?! Wie spät ist es denn?“ Lulu antwortet über mir: „Acht Uhr.“ „Chillt, dann haben wir doch noch eine Stunde und 23 Minuten!“, beruhigte Lala alle wieder. „Oh!“, machte ich nur und versank unter dessen irgendwo unter meiner Decke. Es war so typisch für mich, alle eine Stunde zu früh zu stressen, wenn ich aufgeregt war.
Da alle – bis auf John, der die ganze Aufregung verschlafen hatte – jedoch danach schon hell wach waren, ließen wir uns Zeit mit dem Aufstehen, packten unsere Sachen und zogen widerwillig unsere Klamotten an. Was hätte ich in diese Augenblick für eine Dusche gegeben!
Am Bahnhof empfingen uns Lulus Austauschschülerin und deren Mutter und führten uns durch ein Gewirr von Gängen und nicht ohne ein Mal in die falsche U-Bahn zu steigen, zu unserem Anschlusszug, der von einem weiteren Pariser Bahnhof abfuhr und uns nach Orléans brachte. Die ganze Zeit musste ich meinen vollen Koffer mit Sachen für drei Wochen schleppen, da seine Rollen in Folge von Altersschwäche nachgegeben hatten. Das war eher mäßig geil und ich war heil froh, als ich ihn schließlich in das Auto meiner Familie hieven konnte.
Mit mir kamen noch Mella für den ersten Tag und Sylvia für die erste Woche, weil ihre Austauschpartnerinnen noch im Urlaub waren. Mella mochte ich gerne, aber ich war mir noch nicht ganz sicher, ob ich mich auf die gemeinsame Zeit mit Sylvia wirklich freuen konnte. Sie war wohl schon immer ein sehr selbstverliebter Mensch. Das soll jetzt nicht so negativ klingen, wie es sich anhört, denn sie kann dennoch ganz nett sein. Aber es kann eben auch mega anstrengend sein, wenn jemand überwiegend an sich selbst denkt.
Auf der Fahrt zum Haus meiner Austauschpartnerin Alina, die natürlich auf dem Land lebte, fragte uns der Vater, der aufgrund seiner deutschen Verwandtschaft sehr gut Deutsch beherrschte, über unsere Reise und unsere Familien aus. Und auch, wenn er mir im ersten Augenblick eher unsympathisch gewesen war, musste ich zugeben, dass ich ihn ganz nett fand.
Zu Hause angekommen begegneten wir dann auch noch der Mutter und dem Bruder, Abel, sowie dem Cousin, Erwin, der eindeutig ein Bubi-Player war. Ich schielte zu Sylvia rüber und konnte ein Würgen nicht unterdrücken, als sie ihn schon jetzt musterte, wie ich einem Schokokeks in die Augen gesehen hätte. Mein Gott, ein Mädchen mit einer solch langen Playerliste gibt es wohl wirklich nur selten.
Den Rest des Tages verbrachten wir mit Tischtennisspielen und Essen. Wirklich, ich glaube, die Mutter stand den ganzen Tag in der Küche, nur um uns ein Willkommens-Festessen servieren zu können. Besonders witzig fand ich, dass vor dem Nachtisch und nach dem Hauptgang, bzw. den Hauptgängen, wirklich „Fromage“, also Käse gegessen wurde. Ich hatte das immer für ein Gerücht gehalten. Hoffentlich würden die hier nicht auch noch auf die Idee kommen, mich mit Schnecken zu füttern...

Montag, 11. Juli 2011

Montag, 11.07.2011 & Samstag, 01.01.2011: Worte sind eben doch nur Worte

Ich habe heute ein wenig in meinen bisher unveröffentlichten Tagebucheinträgen geblättert und bin dabei auf einen Text gestoßen, den ich noch in der ersten Stunde dieses Jahres geschrieben habe. Es war Silvester und mein inzwischen Ex-Freund Ian war lieber mit seinem besten Kumpel los gezogen, als mit mir zu feiern. Okay, gut. Ich wollte mit meiner Familie feiern, weil ich das schon die Jahre zuvor nicht mehr getan hatte. Das ist vielleicht wenig spektakulär, aber er hätte es vorziehen können, einfach mit mir zu feiern.
Wenigstens aber rief er mich an. Und was er sagte, versetzte mich in einen heftigen Glückszustand. Er hatte mir noch nie gesagt, dass er mich liebte. Und dann, nach mehreren Monaten, tat er es. Am Telefon. Aber das reichte, um mich glücklich zu machen. Zumindest so lange, bis die Zweifel zurückkehrten. Also immerhin ein oder zwei Monate.
Jetzt sind wir schon fast 2 ½ Monate getrennt und immer öfter habe ich mich gefragt, ob er mich überhaupt jemals geliebt hat.
Nein, habe ich fast immer auf diese Frage geantwortet. Und eigentlich ist es ja auch egal. Oder sollte es zumindest sein. Ich war einfach naiv genug – oder die Liebe hat mich naiv genug gemacht – im alles zu glauben.
Vielleicht, antworte ich jetzt – jetzt nachdem ich meinen Tagebucheintrag noch einmal gelesen habe. Vielleicht hat er mich geliebt, auch wenn es nur einen Wimpenaufschlag lang war.
Einen Augenblick lang:

Er liebt mich. Ich weiß es. Ich habe es tausend Mal schwarz auf weiß von ihm gelesen. Ich habe tausend Mal gefleht es möge wahr sein. Nicht nur leere Worte, dahin geschrieben, unüberlegt und ohne irgendeinen wahren Hintergrund.
Doch jetzt, in der ersten Stunde im neuen Jahr, habe ich es ihn auch sagen hören. Zwar nur am anderen Ende einer Leitung, am Telefon, schon wieder viel zu weit weg. Aber ich habe ihm angehört, dass er es ernst meint. Und beinah hätte ich eine Glücksträne in meinen Schal verdrückt, den er mir zu Weihnachen geschenkt hat. Kann das Glück einen umbringen?
Vielleicht übertreibe ich auch. Ich meine, auch Worte werden oft genug unüberlegt gebraucht, auch sie müssen nicht zwangsläufig einen wahren Kern haben. Aber auch seine Handlungen zeigen mir, dass er mich liebt. Er liebt mich, wirklich. Und wieder könnte ich weinen. Wie lange hab ich auf einen Menschen wie ihn gewartet. Dieses neue Jahr, mit ihm an meiner Seite, wird ein sehr glückliches werden, verspreche ich mir. Es muss einfach.
Und bitte, mein lieber Ian, bitte vergiss nicht, dass auch ich dich liebe. Ich, dein 15jähriges rohes Ei.
Dass du nicht bei mir warst, als wir in das neue Jahr gingen, bedaure ich in der Tat, natürlich tue ich das, aber dass du mir sagtest du hättest lieber mit mir gefeiert, das entschädigte mich zumindest ein wenig dafür, dass wir nicht zusammen waren.


Samstag, 2. Juli 2011

Mittwoch, 22.06.2011: Aus den Tagebüchern eines Mörders – Mutterliebe

Sie war so ruhig und entspannt, wie sie da lag. Das Gesicht halb unter ihrem Arm verborgen, bis zum Hals in die Decke eingewickelt. Als wollte sie sich schützen, irgendwie. Als würde sie irgendetwas ahnen. Aber ich glaube, das tat sie nicht. Ich glaube auch nicht, dass sie es verstanden hätte, selbst wenn ich es ihr erklärt hätte. Es hätte nur alles kaputt gemacht.
Ich stand vor ihrem Bett. Wie lange es war, kann ich nicht mehr sagen. Vielleicht eine Stunde oder zwei. Es könnten aber auch vier gewesen sein. Ich weiß es nicht mehr. Aber das ist hier wahrscheinlich auch egal. Niemand, der es nicht selber erlebt hat, kann sich vorstellen, wie stark diese Liebe sein kann. Dieses Gefühl... Wenn du dein eigenes Kind ansiehst, und weißt, du wirst alles für es tun, alles damit es glücklich ist. Du siehst es an, und in ihm ziehst du immer noch das kleine hilflose Wesen, das du auf dem Arm gehalten hast, nach der Geburt. Ihre kleinen Hände. Und du weißt auf einmal wieder, wofür du da bist.
In dem Bett sah sie irgendwie verloren aus. Es war ein weiterer Schritt auf's Erwachsenwerden zu gewesen, für sie. Die ersten Tage war sie sogar freiwillig ins Bett gegangen. Und als sie letzte Woche ihren ersten Zahn verloren hat, konnte sie es kaum abwarten. Sie wollte unbedingt wissen, ob die Zahnfee auch zu ihr kam. Sie wollte wach bleiben und sie sehen, heimlich natürlich. Damit sie auch auf jeden Fall wieder kam. Aber dann schlief sie doch schon, als ich in ihr Zimmer kam. Der kleine Eckzahn war den ganzen Tag über ihr größter Stolz gewesen, hatte ihr immer wieder dieses Strahlen auf die Lippen gezaubert. Was sie nicht wusste... Es war nur ein Zahn. Und dem Rest der Welt leider völlig gleichgültig. Nur die Zahnfee wusste ihn zu würdigen. Sie tauschte ihn gegen ein rosa Stoffschwein – Esmeralda. Doch auch Esmeraldas Zauber war wertlos, das Lächeln, das sie zaubern konnte, war wertlos.
Ihr Mund stand ein klein wenig offen und ich konnte die Zahnlücke sehen. Bald würde dort ein neuer Zahn wachsen. Und mit jedem Zahn, den sie verlor, mit jedem Zahn der in die Lücke wuchs, würde sie älter werden. Mit jedem Zahn würde ihr mehr und mehr klar werden, dass all' das nichts bedeutete. Auch ihr schöner Mund, die zarten Lippen sind nichts in den Augen der Großen. Er erzählt nur von Märchen und Wundern. Ihre Augen sehen nur das Gute, das Schöne um sie herum. In den Augen der Welt aber ist sie unbedeutend.
Es zählen nur Zahlen und Beweise. Meistens ist das ein und dasselbe. Alles was anders wird, wird zu Zahlen gemacht. Die Märchen, von denen sie erzählte, glaubte keiner mehr unter den Großen. Aber das sollte sie nie erfahren. Selbst sie müssen doch einsehen, dass es besser so ist. Ich wollte doch nur, dass sie glücklich bleibt, dass sie die Welt nie sieht, wie sie wirklich ist.
Sie sollte einfach nicht denselben Fehler machen, wie ich. Überrumpelt von der wunderlosen Welt, überkommen von einem plötzlichen Anflug von Realismus. Und dann von einer plötzlichen Schwangerschaft. Aber verlassen, vor allem von Wundern.
Nein, ich wollte sie nie so sehen. Nie. Also musste ich etwas tun. Ich konnte doch nicht einfach zusehen, wie sie in ihr Verderben rannte! Ich musste sie beschützen. Für sie da sein, selbstlos. So wie meine Mutter nie gewesen war. Ich musste ihr Glück retten. Auch, wenn das bedeutete, mein eigenes zu zerstören.
Ich hätte noch Stunden da stehen können. So lange, bis sie aufgewacht wäre. Sie hätte mich in den Arm genommen und mich gefragt, warum ich denn weinen würde. Aber ich beschloss, ihr diesen Anblick zu ersparen.
Ich setzte mich auf ihre Bettkante. Es quietschte leise und sie kuschelte sich an mich. Ich strich sanft über ihre weiche Haut, ihr dünnes blondes Haar.. Sie war so eine gute Tochter. Sie war noch so unbeschwert. Sie war mir so ähnlich, so wie ich noch als Kind selbst gewesen war.
Ich gab ihr einen Kuss, sah sie das letzte Mal an. Dann nahm ich Esmeralda und drückte ihr fettes rosa Gesicht auf ihren Mund. Es sah fast aus, als würde sie ihr einen Kuss geben.
Sie strampelte nur kurz, doch ich gab ihr den Halt, den sie brauchte. Zart wie... ein Schmetterling wand sie sich, dem Tod zu entkommen, schwebte sie ihm eben so leicht entgegen.
Ich weiß, sie ist glücklich, immer noch. Und sie wird es auch bleiben. Mir ist es egal, was sie jetzt mit mir machen, Herr Kommissar. Es ist vollkommen gleichgültig, gleichgültig wie alles. Jetzt wo sie nicht mehr hier ist.
Aber ich darf nicht so selbstsüchtig sein...


Never Grow Up - Taylor Swift