Sie war so ruhig und entspannt, wie sie da lag. Das Gesicht halb unter ihrem Arm verborgen, bis zum Hals in die Decke eingewickelt. Als wollte sie sich schützen, irgendwie. Als würde sie irgendetwas ahnen. Aber ich glaube, das tat sie nicht. Ich glaube auch nicht, dass sie es verstanden hätte, selbst wenn ich es ihr erklärt hätte. Es hätte nur alles kaputt gemacht.
Ich stand vor ihrem Bett. Wie lange es war, kann ich nicht mehr sagen. Vielleicht eine Stunde oder zwei. Es könnten aber auch vier gewesen sein. Ich weiß es nicht mehr. Aber das ist hier wahrscheinlich auch egal. Niemand, der es nicht selber erlebt hat, kann sich vorstellen, wie stark diese Liebe sein kann. Dieses Gefühl... Wenn du dein eigenes Kind ansiehst, und weißt, du wirst alles für es tun, alles damit es glücklich ist. Du siehst es an, und in ihm ziehst du immer noch das kleine hilflose Wesen, das du auf dem Arm gehalten hast, nach der Geburt. Ihre kleinen Hände. Und du weißt auf einmal wieder, wofür du da bist.
In dem Bett sah sie irgendwie verloren aus. Es war ein weiterer Schritt auf's Erwachsenwerden zu gewesen, für sie. Die ersten Tage war sie sogar freiwillig ins Bett gegangen. Und als sie letzte Woche ihren ersten Zahn verloren hat, konnte sie es kaum abwarten. Sie wollte unbedingt wissen, ob die Zahnfee auch zu ihr kam. Sie wollte wach bleiben und sie sehen, heimlich natürlich. Damit sie auch auf jeden Fall wieder kam. Aber dann schlief sie doch schon, als ich in ihr Zimmer kam. Der kleine Eckzahn war den ganzen Tag über ihr größter Stolz gewesen, hatte ihr immer wieder dieses Strahlen auf die Lippen gezaubert. Was sie nicht wusste... Es war nur ein Zahn. Und dem Rest der Welt leider völlig gleichgültig. Nur die Zahnfee wusste ihn zu würdigen. Sie tauschte ihn gegen ein rosa Stoffschwein – Esmeralda. Doch auch Esmeraldas Zauber war wertlos, das Lächeln, das sie zaubern konnte, war wertlos.
Ihr Mund stand ein klein wenig offen und ich konnte die Zahnlücke sehen. Bald würde dort ein neuer Zahn wachsen. Und mit jedem Zahn, den sie verlor, mit jedem Zahn der in die Lücke wuchs, würde sie älter werden. Mit jedem Zahn würde ihr mehr und mehr klar werden, dass all' das nichts bedeutete. Auch ihr schöner Mund, die zarten Lippen sind nichts in den Augen der Großen. Er erzählt nur von Märchen und Wundern. Ihre Augen sehen nur das Gute, das Schöne um sie herum. In den Augen der Welt aber ist sie unbedeutend.
Es zählen nur Zahlen und Beweise. Meistens ist das ein und dasselbe. Alles was anders wird, wird zu Zahlen gemacht. Die Märchen, von denen sie erzählte, glaubte keiner mehr unter den Großen. Aber das sollte sie nie erfahren. Selbst sie müssen doch einsehen, dass es besser so ist. Ich wollte doch nur, dass sie glücklich bleibt, dass sie die Welt nie sieht, wie sie wirklich ist.
Sie sollte einfach nicht denselben Fehler machen, wie ich. Überrumpelt von der wunderlosen Welt, überkommen von einem plötzlichen Anflug von Realismus. Und dann von einer plötzlichen Schwangerschaft. Aber verlassen, vor allem von Wundern.
Nein, ich wollte sie nie so sehen. Nie. Also musste ich etwas tun. Ich konnte doch nicht einfach zusehen, wie sie in ihr Verderben rannte! Ich musste sie beschützen. Für sie da sein, selbstlos. So wie meine Mutter nie gewesen war. Ich musste ihr Glück retten. Auch, wenn das bedeutete, mein eigenes zu zerstören.
Ich hätte noch Stunden da stehen können. So lange, bis sie aufgewacht wäre. Sie hätte mich in den Arm genommen und mich gefragt, warum ich denn weinen würde. Aber ich beschloss, ihr diesen Anblick zu ersparen.
Ich setzte mich auf ihre Bettkante. Es quietschte leise und sie kuschelte sich an mich. Ich strich sanft über ihre weiche Haut, ihr dünnes blondes Haar.. Sie war so eine gute Tochter. Sie war noch so unbeschwert. Sie war mir so ähnlich, so wie ich noch als Kind selbst gewesen war.
Ich gab ihr einen Kuss, sah sie das letzte Mal an. Dann nahm ich Esmeralda und drückte ihr fettes rosa Gesicht auf ihren Mund. Es sah fast aus, als würde sie ihr einen Kuss geben.
Sie strampelte nur kurz, doch ich gab ihr den Halt, den sie brauchte. Zart wie... ein Schmetterling wand sie sich, dem Tod zu entkommen, schwebte sie ihm eben so leicht entgegen.
Ich weiß, sie ist glücklich, immer noch. Und sie wird es auch bleiben. Mir ist es egal, was sie jetzt mit mir machen, Herr Kommissar. Es ist vollkommen gleichgültig, gleichgültig wie alles. Jetzt wo sie nicht mehr hier ist.
wirklich sehr gut, ich nehme an du hast es selbst geschrieben?
AntwortenLöschenich bin wiklich begeistert und möchte mehr von dir lesen...
und deinen blog würde ich gerne verfolgen nur leider finde ich nirgends, wo ich das machen könnte
ja, das ist alles selbstgeschrieben. & danke! :* ich freu mich immer, wenn jemandem mein blog gefällt. ich werd mal gucken, dass ich das mti dem verfolgen auch noch irgendwie regel!
AntwortenLöschen