Samstag, 11. Dezember 2010

Samstag, 11.12.2010: Hauptsache Tanzpartner?

Sie gehörte nicht zu den Menschen, die sich selber über andere stellen und meinen, auf Grund ihres guten Aussehens oder auf Grund des schlechten ihres Gegenübers ein besserer Mensch zu sein. Sie hatte sich in ihrer Vergangenheit nie, oder zumindest nur sehr selten dazu verleiten lassen einen anderen wegen seiner ehrlichen Augen oder seinem schönen Gesicht mit Eigenschaften auszustatten, die nicht auch wirklich seinem Charakter entsprochen hätten.
Auch an diesem Tag hatte sie sich nicht durch die spöttischen Blicke, die die anderen Mädchen auf ihren Tanzpartner warfen, davon abhalten lassen sich eine ehrliche Meinung von Mike zu bilden. Zwar entsprach sein Äußeres mit seiner riesenhaften Gestalt, seinem langen geflochtenen Zopf und seinem Bart nicht ganz ihren Vorstellungen eines gutaussehenden Jungen, oder besser eines jungen Mannes, doch all das wäre bedeutungslos gewesen, hätte sein Charakter sie eingenommen für ihn eingenommen. 
Doch schon nach wenigen Tänzen musste sie feststellen, dass er auch in dieser Hinischt nicht ihren Vorstellungen entsprach. Er wirkte, trotz seiner Größe eher wie ein kleiner Junge und auch beim Tanzen hoppste er mehr, als dass er anmutig durch den Saal geglitten wäre. Mehere Male gab er ihr obendrein zu verstehen, dass sie sich nicht gut führen lasse, worauf sie nur aus Höflichkeit nicht erwiderte, dass seine Zeichen zu zögerlich und obendrein immer erst einige Herzschläge zu spät kamen. Er versuchte ihrem Verhalten außerdem immer wieder eine gewisse Unsicherheit anzuhängen und suchte sie mehre Male zu ermutigen, auf sich selbst und ihr Können, welches seiner Ansicht nach recht passabel war, jedoch besser sein könnte, zu vertrauen. 
Dies verletzte ihren Stolz, was sie nicht gerne zugab, insofern, dass er ihr allein auf gewisse Weise die Verantwortung für die Disharmonie ihres gemeinsamen Tanzes zuschrieb; war er doch nach ihren Ansichten mindestens genauso stark daran beteiligt. Sie bestärkte diese ihre Ansicht vor sich selbst dadurch, dass sie sich daran erinnerte, dass sie mit anderen Tänzern keinerlei Probleme gehabt hätte und noch neulich ein Kompliment von ihrem Stiefvater dafür bekommen hätte, wie gut sie sich führen lasse. 
Während sich ihre heißen Wangen - heiß vor Scham - langsam abkühlten und der Bus, welcher sie zu ihrem schützenden Heim zurückfuhr, über die Straße holperte, sah sie nach draußen. Die kläglichen Überreste des Schnees der letzten Tage waren am Straßenrand zu hohen Haufen aufgeworfen oder nurnoch als feuchter Schneematsch, der durch die Schuhe drang und einem nasse Socken bescherte, zu erahnen. Alles hatte angefangen zu tauen, der Schnee war zu Regen geworden, der sich nun an der Fensterscheibe absetzte und in großen Tropfen daran herunterlief, wie ihre Zuversicht und ihre traumhaften Vorstellungen ihres zukünftigen Tanzpartners sich in die keineswegs märchenhafte Realität gewandelt hatten. 
Sie tadelte sich selbst immer wieder, nur wegen eines Tanzpartners, der wahrscheinlich sowieso nur einen Abend von sechs Stunden mit ihr verbringen würde und nur wenig mehr Tänze mit ihr tanzen würde, in solch negative Gedanken abzugleiten. Als wäre dies der Weltuntergang. Doch ihre Erwartungen waren so lange geschürt worden, dass ihre komplette Enttäuschung sie verständlicherweise in tiefe Niedergeschlagenheit versetzte, welche im völligen Gegenteil zu ihrer sonstigen Zuversicht und ihrem Talent, nie den Silberstreifen am Horizont aus den Augen zu verlieren, stand. 
Immerhin, dachte sie, hat er ein gewisses musikalisches Taktgefühl und es ist besser mit Mike, als garnicht oder mit Emil zu tanzen, welcher noch nicht mal den Takt halten konnte und dessen Bitten, als feste Tanzpartnerin mit ihm zum Ball zu gehen, sie gleich zu Anfang der Stunden abgelehnt hatte.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen