Sie wusste, dass er Recht hatte. Trotzdem hatte sie gehofft, dass seine Liebe zu ihr – vielleicht eine Art väterlicher Liebe – ihn davon abhalten würde, sie wieder anzuschreien. Auch wenn er Recht hatte - war das nicht genau das Gegenteil, was ein liebender Mensch dem Geliebten, der mit Tränen in den Augen vor einem sitzt, antun würde? Und noch dazu aus einem so lächerlichen Grund. Es war einfach... Es gab eben niemanden, der sie geliebt hätte, ohne irgendwelche Regeln oder Erwartungen an sie zu stellen und ihr die Liebe wieder zu entziehen, sollte sie diese nicht erfüllen. Ihre Mutter saß da. Tat nichts, als zum tausendsten Mal etwas in ihr zerbrach und sich etwas anderes zusammen krampfte. Und war doch so fest von der Richtigkeit seines Handelns überzeugt, dass sie ihn fortfahren ließ. Dann war er fertig, sie konnte gehen. Sie schloss die Tür leise hinter sich und im selben Moment lief das Wasser in ihren Augen über und in kleinen Tropfen ihre Wangen hinunter. Und obwohl ihr Verstand verzweifelt versuchte, den Staudamm aufrecht zu erhalten, gewann er doch nicht gegen ihr gebrochenes Herz.
Sie ging ins Badezimmer und putzte ihre Zähne. Der Geschmack der Zahnpasta – das übliche Pfefferminz-Aroma – beruhigte sie ein wenig. Doch dann sah sie in den Spiegel, und was sie sah, trieb ihr erneut die Tränen in die Augen, heftiger noch als zuvor. Sie sah ein Mädchen, sie sah sich selbst, so wie man nur sich selbst sehen kann. Sie hatte immer ihr bestes gegeben und war doch für das was sie hatte, bestraft worden. Es war ein Mädchen, das vor einem Badezimmerspiegel stand, und dem in diesem Augenblick klar wurde, dass es auf der ganzen Welt keinen einzigen Menschen gab, der sie wirklich verstanden oder ohne Vorbehalte geliebt hätte. Ihre Gedanken zuckten zu ihrem Freund. Ian. Doch auch er schien sich von ihr zu entfernen, sich nicht mehr voll von ihr einnehmen zu lassen.
Sie hatte ein bisschen Zeit damit verbracht, vor ihrem Handy zu sitzen und auf eine, nur eine noch so kleine sms zu warten. Sie war nachts aufgewacht – um zwei Uhr morgens - und hatte darüber nachgedacht, ob sie ihm ein „Ich liebe dich“ schicken sollte. Doch hätte sie sich nach einem „Ich dich auch“ besser gefühlt, hätte sie doch gewusst, dass es nur die auswendig gelernte, maschinelle Antwort auf einen verzweifelten Ruf nach mehr gewesen wäre.
Das Blut pochte in ihrem Kopf und sie verabscheute dieses winzige, erbärmliche und krebsrote Etwas mit den kleinen verquollenen Augen und dem Pickel auf der Stirn. Und zugleich verachtete sie sich selbst dafür, dieses arme Mädchen, das irgendwo zusammengekauert und allein in einer Ecke ihrer selbst saß, so gnadenlos zu verurteilen.
Normalerweise hätte sie sich nach ein paar Stunden wieder aufgerappelt und hätte weitergemacht, mit gestärkter Entschlossenheit, doch es fehlte ihr die Kraft – oder irgendetwas, wofür es sich zu kämpfen lohnte. Es schien alles hoffnungslos oder verloren.
Uns so kam es, dass sie bereits im zarten Alter von 15 Jahren völlig allein auf der Welt war und all' ihre Träume aufgegeben hatte. Sie wollte wieder wie früher sein. Leyla.
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