Samstag, 23. April 2011

Freitag, 22.04.2011: Ian & Ich (Part 2)

Noch am selben Abend, dem Abend des 6. Januars 2010, schrieben wir wieder über MSN und er fragte mich, ob wir uns vielleicht mal treffen wollten. Ich sagte zu, denn wenn ich eines in meinem Leben gelernt habe, so ist es, jemanden niemals nach einem ersten Urteil abzuhaken – schon gar nicht, wenn man noch nie ein Wort von Angesicht zu Angesicht miteinander geredet hat. Wir machten also ein Treffen ab, doch wie die folgenden Male auch, sollte einer von uns absagen – sei es weil er eine Schulveranstaltung hatte, seine Oma Geburtstag feierte, ich Chorprobe hatte, oder nach vielen Wochen meinen Vater wieder sah. Immer kam etwas dazwischen – und vielleicht, oder sogar sehr wahrscheinlich war auf beiden Seiten auch ein bisschen Feigheit der Grund. Irgendwann glaubten wir wohl beide nicht mehr daran. Wir gaben es auf und schließlich schrieben wir auch nicht mehr.
Doch eines Tages schickte er mir eine Nachricht bei SchülerVZ, ob wir uns nicht doch noch einmal treffen wollten, um uns endlich kennenzulernen. Ich sagte nicht nein, wer tut das schon, wenn die Aussicht auf ein Gelingen doch sowieso sehr gering ist. Doch siehe da: einige Wochen nach den Sommerferien – am 14.08.2010 - saß ich gegen 17 Uhr vor dem Dom und wartete darauf, dass er mir doch noch absagen würde. Ich glaubte wirklich bis zur letzten Minute daran. Und wenn er schon nicht absagen würde, dann würde er einfach gar nicht kommen. Doch kurz nachdem die Glocken fünf geschlagen hatten, kam er. Ich erinnere mich noch, er stand auf der anderen Straßenseite, eine Bahn trennte uns noch voneinander. Ich wusste sofort, dass er es war, Ian, obwohl ich ihn ganz anders in Erinnerung hatte. Obgleich ich ernsthaft befürchtete, mein Herz könnte gleich aus meiner Brust springe – so doll schlug es – sprang ich auch und ging auf ihn zu. Die Straßenbahn für weiter, er setzte seinen Weg fort. Und sah mich. Ich denke, auch er wusste, dass ich ich war, auch wenn er mir nachher erzählte, dass er sich mich ganz anders vorgestellt hatte. Mir viel nichts anderes ein und da ich es mit allen so machte, umarmte ich ihn zur Begrüßung und tat, als wäre ich keines Wegs beunruhigt, meine Zunge könnte sich gerade in Luft aufgelöst haben.
Über den folgenden ersten Teil unserer ersten richtigen Begegnung kann ich heute noch lachen. Die erste Stunde rannten wir nämlich, unter dem Vorwand nach einem Café zu suchen, kreuz und quer durch die Stadt, und das im wahrsten Sinne des Wortes 'rannten'. Wir liefen, blind und als wären wir auf der Flucht, hatten keine Ahnung, was wir reden sollten und begrenzten uns daher auf die Themen, über die wir schon miteinander geschrieben hatten. Über unsere Familien, unsere Hobbies und unsere Haustiere. Er hatte übrigens einen Hund.
Auch wenn ich wirklich keinen blassen Schimmer habe, wie wir es geschafft haben – irgendwann saßen wir dann doch draußen vor Starbucks und nippten an unseren heißen Schokoladen. Ich war immer noch rot, weil die Verkäuferin eine Bemerkung gemacht hatte, als sie mitbekommen hatte, dass Ian sich bei mir erkundigt hatte, was ich nehmen würde, um das gleiche zu wählen. Natürlich bezahlte er nicht – wir kannten uns schließlich erst seit einer Stunde – aber ich muss sagen, dass es vielleicht gerade deshalb gut von ihm gewesen wäre. Es hätte mich auf jeden Fall beeindruckt. Wir saßen also noch bis sechs Uhr dort draußen und weil die Sonne nicht mehr über die hohen Häuser schien, wurde es allmählich kühl. Daher beschlossen wir, zum Fluss zu gehen. Und dort verbrachten wir die nächsten drei Stunden. Zunächst war ich noch nervöser und mein Rücken verspannte sich – das war unerträglich. Schließlich saßen wir gerade auf einer Bank nebeneinander und beobachteten einen Sonnenuntergang und das 'Kraftfoods'-Zeichen, dass sich langsam um sich selbst drehte – ihr müsst zugeben, dass ist schon extrem romantisch. Doch ich wollte mich noch nicht entscheiden müssen, ob ich etwas von ihm wollte – ob ich ihn überhaupt je wiedersehen wollte. Deshalb erzählte ich ihm also von meiner Kindheit, allen Meerschweinchen, die ich je gehabt hatte, ihr Todesursachen inklusive, und von Gott und der Welt. Und ich muss sagen, er wurde mir zusehends sympathischer, als ich feststellte, dass er mir nicht nur aufmerksam zuhörte, sondern auch ernsthaft auf meine, im Nachhinein leicht peinlichen Erzählungen, antwortete und sogar themenbezogene eigene Erfahrungen schilderte.
Nach der ersten Stunde am Fluss – es war gerade sieben Uhr – begann ich mich zu fragen, wie lange so ein erstes Date wohl für gewöhnlich dauerte und ob er nicht langsam etwas angenervt von mir war. Aber als er nach einem Wink mit dem Zaunpfahl meinerseits keine Anstalten machte, sich zu erheben, gab ich es auf und meinem Schicksal hin. Und von da an verflog die Zeit mit ungekannter Geschwindigkeit. Wir redeten und redeten und redeten.
Ich erinnere mich noch genau, dass an unserer Bank neben vielen anderen Leuten auch ein Pärchen vorbei lief. Die Frau schien eine leichte Behinderung zu haben, der Mann dagegen nicht. Wir sahen den beiden hinterher und er sagte folgenden Satz: „Dafür müssen wohl beide ein bisschen verrückt sein.“ Damals dachte ich, dass Ian hoffentlich auch ein bisschen verrückt ist, denn auch wenn man es mir unbedingt nicht anzieht, ich kann manchmal ganz schön abgedreht sein.
Schließlich riss mich der Glockenschlag des Doms aus einer Art Trance heraus und in die Wirklichkeit zurück – ich begann mir Sorgen zu machen, wie spät es wohl wäre. Und zu meinem verblüffen war es schon neun Uhr. Wir machten uns also auf zum Bahnhof, denn ich hatte Hunger. Und wenn ich Hunger habe, dann esse ich Nudeln im Bahnhof. Ian dagegen hatte noch nie Nudeln im Bahnhof gegessen. Daher beschloss ich ihn nicht gleich mit der Kunst des Stäbchenessens zu überfordern, sondern ihn zunächst ins Essen von Nudeln mit nur einer Gabel einzuweisen. Wir sahen uns nicht allzu viel an, denn wir beide hatten dringend eine Serviette nötig...
Dann war es soweit. Ich musst mich langsam auf den Heimweg begeben und wir steuerten die Haltestellen an. Ich erinnere mich noch, wie enttäuscht ich war, als er sich viel zu schnell wieder aus unserer Umarmung löste. Und ich in den Bus einstieg.
Und dann fuhr ich. Einfach so fuhr der Bus, als wäre es ein ganz normaler Tag und ein ganz normaler Bus gewesen, dabei schwebte ich doch viel mehr gen Heim, als dass ich unsanft auf dem harten Bussitz hin und her geworfen wurde..
Und nach Hause begleitet wurde ich von „With Me“ von Sum 41. Malas Lieblingsband.

Donnerstag, 21. April 2011

Donnerstag, 21.04.2011: Ian & Ich (Part 1)

Ich will heute unsere Geschichte erzählen. Sie handelt von Schicksal – oder für alle die nicht daran glauben von Zufällen, von Liebe und schließlich von Unglück. Auch wenn wenn das Ende noch offen ist, hat diese Geschichte zumindest schon mal ein Happy Beginning.
Ians und meine – unsere Geschichte beginnt irgendwann im Januar 2010, als meine Freundin Mala den Entschluss fasste, eine Band zu gründen. Leider gab es zu dieser Zeit noch nicht sehr viele Musiker in unserer Umgebung, also begann sie über MusikerVZ nach Gleichaltrigen zu suchen. Und an dieser Stelle betrat Ian die Bühne, denn er spielte neben Klavier und Saxophon auch noch E-Bass. Mala und Ian kamen also ins Gespräch und schließlich lud er sie ein, mit ein paar Freunden zu seinem Klavierkonzert in einer Kneipe zu kommen. Ich war zu dieser Zeit in einer Art „Why-Not?-Stimmung“ und sagte zusammen mit einigen anderen Freundinnen zu. Aber dann sagte eine nach der anderen ab und als schließlich Mala erklärte, ihre Mutter würde am 6. Februar, dem Tag des Konzertes, ihren Geburtstag feiern und sie wäre nicht abkömmlich, blieb nur noch ich übrig. Es ist mir im Nachhinein ein Mysterium, warum ich wirklich zu dem Konzert gegangen bin. Gut, auf der einen Seite wollte ich Ian, dem ich schon gesagt hatte, dass ich kommen würde, nicht absagen. Aber ich denke, dass es vor allem Neugierde war, auf diesen Jungen, mit dem ich schon so schön geschrieben hatte und außerdem machte ich mir natürlich Hoffnungen, er könnte vielleicht mein erster Freund werden – ganz ehrlich, wer würde das nicht, bei einer solch berauschenden Vorstellung nach unseren Gesprächen.
Ich ging also zu dem Konzert. Er spielte wirklich unglaublich gut und auch wenn ich nicht alles kannte, gefiel mir doch seine Art, Klavier zu spielen. Bedauerlicher Weise saß ich genau hinter einer Säule und hatte, da ich mein Interesse nicht zu offen zeigen durfte, nur wenige Gelegenheiten, ihn zu betrachten. Ich bin ganz ehrlich: Er hat mich nicht umgehauen. Nix Liebe auf den ersten Blick, keine Schwärmereien. Im Gegenteil muss ich sogar zugeben, dass er auf mich sehr eingebildet wirkte – wie gesagt, wirkte. Aber wie er wirklich war, konnte ich ja damals noch nicht wissen. Außer mir waren auch noch viele seiner Freunde da, seine Eltern, Bekannte, Verwandte – und natürlich die regulären Besucher der Kneipe. In der Pause zwischen den beiden Teilen seines Vorspiels ging er ein Mal an mir vorbei, war aber zu feige mich anzusprechen. Auch wenn ich mich im Nachhinein fürchterlich darüber aufgeregt habe, glaube ich, dass das mir in diesem Augenblick ganz recht so war. Ich weiß nicht, ob ich zu einem richtigen Gespräch in der Lage gewesen wäre. Das war alles so... aufregend, wirklich.
Als das Konzert zu Ende war, ging ich also. Und das war's – zumindest für's Erste. Nach diesem 6. Januar 2010 sollte es noch fast ein halbes Jahr dauern, bis wir uns wiedersehen würden.

Mittwoch, 20. April 2011

Mittwoch, 20.04.2011: Liebe kannst du nicht lügen

Du hast mich angesehen und mir gesagt, dass du mich noch willst. Du hast gesagt, wir würden noch einmal von vorne anfangen. Du hast mir ein gutes Gefühl gegeben – für einen Augenblick. Mit diesem Augenblick unter dem Arm ging ich, weil ich es musste, und fragte mich doch zu derselben Zeit, ob ich nicht entgegen jeder Vernunft bei dir bleiben sollte. Weil ich so frisch mein Vertrauen wiedergewonnen und wieder einen Blick in unsere Zukunft gewagt hatte. Aber du sagtest, du hättest keine Zeit mehr, bevor du in den Urlaub fahren und wir uns einen Monat nicht mehr sehen würden. Ich weiß inzwischen genau, dass du Zeit hattest – nur eben nicht für mich. Und du wusstest so genau, dass du das alles mit mir machen konntest. Du hast gesehen, dass unsere Beziehung am Abgrund entlang balancierte, doch – cleverer Bursche, der du bist – war dir auch nicht entgangen, dass du nur einmal den Mund öffnen müsstest, um zwar nicht die Situation an sich zu ändern, aber mich gegen sie blind zu machen. Du machst dir immer den kleinst möglichen Aufwand, was zwar schlau, aber für etwas das du 'liebst' ziemlich wenig ist.
Natürlich fiel mir das erst auf, als mit deinem Verschwinden auch mein Augenlicht zurückkehrte. Deine Worte schützen dich, aber sie machen das Ganze nicht besser. Im Gegenteil. Es staut sich auf, bis es eines Tages so groß ist, dass du meine Augen nicht mehr davon ablenken kannst. Dann wird es über uns zusammenschlagen und nicht nur unsere Beziehung, sondern auch meine Symphatie für dich zerstören.
Ich sehe dich schon vor mir, wie du auf einer deiner tollen Parties ein neues Mädchen kennenlernst. Und ihr von deinen Exfreundinnen erzählst, wie sie dich alle verlassen hätten. Das Mädchen wird dich ansehen und einen lieben, verletzten Jungen in dir sehen. Und wenn sie dich vorher schon mochte, so wird spätestens der Satz: 'Ich kann immer noch nicht glauben, dass ich jemanden wie dich verdient habe', sie gegen alle Unreimigkeiten in eurer Beziehung immun machen. Erst wenn ihr euch getrennt habt – oder kurz davor steht, wie wir jetzt – wird sie über das Wörtchen 'jemanden' stolpern und sich fragen, ob sie immer nur ein 'Jemand' für dich war. Ersetzbar. Die Freundin, die du zwar nicht liebst, aber mit der man so wunderbar auf der ein oder anderen Party angeben kann – egal ob sie nun wirklich da ist, oder ob du nur deinen Freunden von ihr erzählst und zehn Minuten später eine Andere in deinen Armen liegt. Versteh' mich nicht falsch, bitte. Ich werfe dir nicht vor, dass du mich je betrogen hast. Im Gegenteil hoffe ich sogar immer noch, dass das vielleicht der einzige Fehler ist, den du in den vergangenen acht Monaten nicht begangen hast.
Ansonsten würd' ich sagen: Du hast's verkackt. Herzlichen Glückwunsch. Mein Problem liegt – nur damit wir uns nicht falsch verstehen – nicht darin, dass du mich nicht mehr liebst. Das weiß ich schon länger, das ist wohl offensichtlich, das habe ich schon verdaut. Aber es kotzt mich an, dass du zu feige bist, es mir zu sagen, zu feige, einfach Schluss zu machen und sogar zu feige, um auf meine Frage, ob du noch mit mir zusammen sein willst, mit einem einfachen 'Nein' zu antworten, oder wenigstens den Kopf zu schütteln.
Ian, würdest du mich wirklich lieben, dann würdest du mehr für mich tun, als mich unglücklich zu machen. Du würdest mich ansehen, wie dieser Typ neulich in McDonalds seine Freundin angesehen hat. Du würdest deine Zeit auch mit mir und nicht rauchend und saufend mit deinen Freunden in der Stadt verbringen. Du würdest ehrlich zu mir sein, mit mir reden, denn du weißt genau, wie wichtig das für mich ist. Und du würdest mir nicht nur schreiben, sondern genauso sagen, dass du mich liebst – und das mehr als einmal in acht Monaten. Naja, eigentlich gilt selbst das eine Mal nicht, am Telefon ist nämlich auch feige. Und das Elementarste: Du würdest nicht nur sagen, dass du mich liebst, du würdest mich wirklich und ehrlich lieben. From the bottom of your heart.

Dienstag, 19. April 2011

Dienstag, 19.04.2011: Liebe pur

Heute ist der Tag, um wieder aufzustehen. Tief einzuatmen, sich zu strecken. Vielleicht um sich noch einmal umzudrehen, zurückzuschauen und sich zu erinnern. Aber nur vielleicht. Denn mein Blick ist heute nach vorne gewandt, meine Füße stehen fest im Hier und Jetzt.
Irgendjemand wird mir heute sagen, was ich nicht kann. Und mich auslachen, wenn ich sage, was ich erreichen will. So was lässt mich nicht kalt, ich versuche gar nicht erst so zu tun. Aber es wird mich auch nicht zurück auf den Boden bringen, denn was ich jetzt habe ist stärker als Birkensamen und Grashalme. Es ist ein gutes Gefühl. Die Liebe und Freude am Leben, die Zuversicht, mit der ich die Zukunft betrachte, macht sie mir auch immer ein wenig Angst.
Heute ist der Himmel blau und die Welt heller vom Schein der Sonne, die ich liebe. Und regnet es auch morgen, so werde ich hinauslaufen und im Regen tanzen, denn ich liebe auch den Regen. Wenn man das Leben liebt, frisch und wieder entdeckt, mit neuer Kraft und Intensität, dann liebt man es ganz, mit allem was dazu gehört.
Dann ist die Liebe pur.

Donnerstag, 14. April 2011

Mittwoch, 13.04.2011: Kloß vom Ausmaß eines Sonnensystems

Ich hatte mir schon so lange vorgestellt, was ich sagen und wie er reagieren würde. Hatte mir vorgestellt, wie einfach alles enden würde – schließlich war es für mich ja schon lange vorbei. Ich konnte darüber reden, mit Kälte und Gleichgültigkeit in der Stimme, als wäre er nicht mehr als eine lästige Fliege, die einem um den Kopf schwirrt und die man mit einem Handschlag verscheuchte. Und ich bildete mir ein, auch nicht viel mehr für ihn zu empfinden. Sagte mir, meine Liebe hätte sich in Gleichgültigkeit und meinen Verletzlichkeit damit in Stärke gewandelt.
Doch dann saß ich neben ihm, auf der Bettkante und brachte kein Wort heraus. Es hätte genügt, wenn ich gesagt hätte: „Es ist aus!“ Die Worte waren noch da, doch es war als wäre die Zeit stehen geblieben. Ich zählte meine Atemzüge, während ich dicht neben ihm saß und meine Füße aneinander rieb. Eins, zwei – wir schwiegen – drei vier – Scheiße, warum stiegen mir die Tränen in die Augen? Warum, wenn er mir nichts mehr bedeutete? Ich zählte, verlor im Chaos meiner Gedanken den Überblick und begann absichtlich weiter hinten wieder zu zählen. Doch schließlich war es soweit: Ich hatte meinen dreißigsten Atemzug getan, nun würde ich meinen Mund öffnen und etwas sagen.
„Weißt du noch, als du mir gesagt hast, wenn wir einmal nicht mehr miteinander auskommen würden, dann müsste ich Schluss machen? Weil du das nie könntest?“
Mist, das hatte ich jetzt aber wieder nur gedacht.
Irgendwann – nach gefühlten fünf Stunden – fragte er mich, ob ich ein Eis wolle. Ein Eis? In so einer Situation? Aber er wusste ja nicht, wie es um mich und meine Gedanken – um uns stand. Schließlich hatte ich es immer noch nicht geschafft, meinen Mund zu öffnen und auch nur einen Ton herauszubringen, der nichts mit der plötzlichen Wetteränderung oder den Ferien zu tun hatte. Ich lehnte ab. Das Eis, seine Küsse. Und schließlich musste sogar er merken, dass etwas nicht stimmte, dass ich nicht ohne Grund so still war, so zurückhaltend. Er entspannte sich, sah mich an. „Also gut. Was ist los?“
Schweigen. Schweigen. Schweigen.
„Bist du sicher, dass alles okay ist, Ian?“
Nun war er es, der nicht wusste, was er sagen sollte.
„Hm. Es ist nur... Du weißt ja, wir sind jetzt schon so lange zusammen. Wir brauchen einfach mal ein bisschen was Anderes. Mal was Neues.“
Da waren Tränen in meinen Augen, ein Kloß von den Ausmaßen des gesamten Sonnensystems in meinem Hals. Ich würgte ihn hinunter und blinzelte meine Tränen weg.
„Okay. Das Problem ist nur: Ich weiß nicht, was du denkst. Weißt du noch, als du mir gesagt hast, wenn wir einmal nicht mehr miteinander auskommen würden, dann müsste ich Schluss machen? Weil du das nie könntest?“
„Ja, aber wieso?“
„Ich... hatte einfach solche Angst. Nach dem Telefonat und... Angst, du könntest nicht mehr mit mir zusammen sein wollen.“
Dammbruch. Schweigen. Dann sah er mich an, wie er mich noch nie angesehen hatte.
„Aber ich will mit dir zusammen sein.“
Und er meinte es ernst. Er meinte es so ernst, dass ich lachen musste.
Er muss nur einen Satz sagen, um alles wieder gut zu machen.

Mittwoch, 13. April 2011

Dienstag, 12.04.2011: Jetzt enden – oder noch zehn Jahre weiterlügen?

Scheiße!, denke ich und drücke - oder besser schlage - wieder auf den Ausschalter meines Weckers. Ich bleibe noch einige Sekunden liegen, genieße die Wärme und ermuntere mich dann mit der Aussicht auf eine heiße Dusche, aufzustehen. Gähnend ziehe ich mich hoch und setzte die Füße auf den Boden. Ein Atemzug, dann durchfährt es mich wie der sprichwörtliche Geistesblitz. Ich sehe alles noch vor mir:
Er steht nur ein paar Meter von mir entfernt und trägt einen schwarzen Anzug und eine grüne Krawatte, die ihm überraschend gut steht. Seine braunen Haare schimmern in der Sonne und seine Augen sprühen. Er ist so schön, und er sieht mich an. Einen Augenblick später sehe ich mich plötzlich auf ihn zu rennen, in einem hellen Sommerkleid, schaue uns zu, während ich lachend auf ihn zu renne und ihm um den Hals falle, wie er mich herumwirbelt. Es ist die Schlussszene eines kitschigen Liebesfilmes, in dem sie sich am Ende doch noch kriegen und auf einer Blumenwiese aufeinander zulaufen – nur, das wir die gewöhnlichen Steinplatten des Bürgersteigs unter unseren Füßen haben. Es ist alles so perfekt: Die Sonne scheint, der Himmel ist blau, wir lachen uns an, die Liebe in den Augen, durch die er mich ansieht – mich allein. Aber es ist eben genau wie in einem Film. Dem außenstehenden Betrachter mag alles sehr authentisch erscheinen, doch in Wirklichkeit ist alles nur gespielt. Eine Lüge. Und während ich auf ihn zu renne und ihm um den Hals falle, weiß ich das. Ich weiß es so genau und trotzdem tue ich weiter so, als wäre alles echt, denn ich wünsche mir ja so sehr, dass es das noch wäre.
Wir sind auf dem Weg zum Waschsalon in dem Viertel meiner Stadt, in dem ich aufgewachsen bin. Als ich von hier weggezogen bin, war an dieser Stelle zwar noch ein anderes Geschäft, aber die kommen und gehen. Wie alles eben. Und zugegeben, es ist wirklich ein sehr merkwürdiger Waschsalon. Das Merkwürdigste ist aber, dass es keine Waschmaschinen gibt. Hinter der Theke stehen zwei Männer mit dunklen Haaren und gestreiften Hausfrauenschürzen, doch sie kümmern sich gar nicht um uns, und auch nicht um die anderen Kunden. Ein paar Männer fragen mich nach dem Weg zum Klo, ich zeige in die ausgeschilderte Richtung, aber ein Mann erwidert, dass dort nur die Damenstiletten seien. Ich zucke mit den Schultern und wende mich wieder den beiden Männern hinter dem Tresen zu. Schließlich müssen die ja wissen, wo das Klo ist, und außerdem will ich jetzt endlich die Ringe abholen. Hm, Toiletten gibt es hier nicht für Herren, nur Waschbecken, sagt der eine beschürzte Mann. Als ich mein zweites Anliegen vorbringe, breitet sich ein fettes Grinsen auf seinem Gesicht aus und er reicht unter die Theke. Er holt ein kleines schwarzes Samtkästchen hervor uns gibt es mir. Wir gehen wieder.
Dieses Mal gehen wir zu der besten Freundin meiner Mutter. Sie wohnt nicht weit vom Waschsalon und wir sind dort eingeladen. Der Tag ist immer noch genauso schön, aber plötzlich ist die Stimmung gedrückt. Ich schiele rüber zu ihm, aber er geht plötzlich granicht mehr so stolz in seinem Anzug, sieht auf den Boden. Auch später, als wir im Garten dieser Freundin sitzen, an einem Holztisch und auf einer Bank aus einem halben Baumstamm, spüre ich... das er nicht will. Er will mich nicht heiraten, er liebt mich nicht. Eine Welle der Enttäuschung durchfährt mich, doch dann muss ich mir eingestehen, dass es mir genauso geht. Ich weiß, dass ich ihn geliebt habe – sehr sogar – aber das kann ich nicht mehr. Ich habe ihm so oft etwas vorgespielt, mir sooft etwas vorgespielt, dass das Reale irgendwann zum Imaginären wurde. Ich würde so viel dafür geben, das wieder rückgängig zu machen, aber ich kann nicht, bin schon auf der Suche nach etwas Anderem. Ich sehe ihn auf der Bank sitzen, mit der schwarzen Samtdose in Händen, der Dose, die unsere Trauringe enthält und ich weißt, dass er mich nicht heiraten möchte, mich aber heiraten wird.
Ich stelle mir vor, wie wir in zehn Jahren nebeneinander sitzen, irgendwo. Ich, mit einer gestreiften Hausfrauenschürze um, glatt und brav geschniegelt – genau so normal und durchschnittlich wie ich es nie sein wollte. Und neben mir, Ian, immer noch genauso traurig, mit Ringen unter den Augen und einer Bierflasche in der Hand, schweigend, aber weniger bemüht, die Fassade aufrecht zu erhalten. Und es ist immer noch genau dasselbe Spiel. Nur dass ich mich inzwischen in diese Lüge meines Selbst verwandelt habe – ebenso, wie sich einst meines Liebe in eine Lüge verwandelte.