Samstag, 1. Oktober 2011

Freitag, 30.09.2011: Im 16. Stock

Wie immer, wenn ich gezwungen bin, Fahrstuhl zu fahren, versuche ich an etwas Anderes zu denken - wie immer erfolglos. Das Ruckeln und Ächzen des Fahrstuhls, der Gedanke an die dünnen Seile die sein gesamtes Gewicht zu tragen haben... Der Fahrstuhl ist aus dem Jahre 1989. Aus dem letzen Jahrtausend, das muss man sich mal vorstellen! Nervös drehe ich mich einmal um mich selbst, froh, dass ich den Fahrstuhl für mich alleine habe. So mustert wenigstens niemand meine sich windenden Hände und mein blasses Gesicht oder fragt, ob es mir vielleicht nicht gut geht. Gerade fühle ich eine neue Panikwelle in mir aufsteigen und langsam auf mich zuwalzen, als endlich das rettende Lämpchen mit der 16 aufleuchtet und die Schiebetür langsam den Blick auf eine weiße Wand freigibt, auf die eben dieselbe Zahl in Großausführung gepinselt ist. Ich stürze aus dem Fahrstuhl und haste dann weiter zu der Tür, die mich noch von dem langen Gang trennt, auf den jede der winzigen Ein-Zimmer-Wohnungen in diesem Stock hinausführt. Ich ziehe die schwere Tür auf und sehe gerade noch eine Frau mit fettigen Haaren und einer Kippe in Mund hastig in ihrer Wohnung verschwinden, als hätte sie Angst davor, dass ich sie grüßen könnte. Die Tür knallt, ein Schlüssel wird im Schloss herumgedreht, dann ist es wieder still. Eine neben der anderen reihen sich die Türen aneinander - dicht an dicht. Wie im Gefängnis. Vor ein paar Monaten haben sie gerade alles renoviert. Außer dem Fahrstuhl natürlich. Aber sie haben das Grau der Wände gegen ein freundliches Krankenhausgelb und das dreckige Lamit auf dem Boden gegen einen neuen Fußbodenbelag ausgetauscht. Alles ein Teil der Maßnahmen zur Verbesserung der Lebensumstände und des Sozialklimas in diesem Viertel. Aber das reicht nicht. Vor der letzten Tür im Gang bleibe ich stehen. Ich atme tief durch und beschließe, es möglichst schnell hinter mich zu bringen. Ich drücke zwei Mal kräfitg auf die Klingel, die ein nasales Surren von sich gibt, dann rührt sich für eine Ewigkeit nichts mehr. Ich sehe mich um. Hier warten die Leute doch nur auf den Tod. Jeder für sich, jeder auf seine Weise, aber alle ohne Hoffnung. Betäubt von Morphium... Die Tür öffnet sich einen Spalt breit und der Geruch von abgestandenem Bier schlägt mir entgegen. ... und Alkohol. ‘Hey, Dad’, sage ich. Er linst durch den Spalt. Dreht sich um und schlurft zurück zur Caoch, wo er den Rest des Tages liegen und trinken wird. Den Rest seines Lebens.

3 Kommentare:

  1. Ich hatte eine Zeit lang auch mal total Panik vor Fahrstühlen. Ich hatte immer Angst ich würde stecken bleiben. Aber bei mir liegt es wohl eher daran, dass ich leicht klaustrophobisch veranlagt bin und deswegen vor dem Steckenbleiben so Angst habe. Bei mir wurde es besser, umso öfter ich mit gefahren bin.
    Oder ist es bei dir in diesem Fall die Angst davor was dich erwartet, wenn du oben angekommen bist?

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  2. Also eigentlich ist die Geschichte rein fiktiv. Sie wurde inspiriert durch meinen Vater und auch durchein Hochhaus, in dem sich die Menschen fremd sind. Aber das ist sozusagen einfach ein lyrisches Ich. :) Aber bei dem lyrischen Ich trifft deine Vermutung schon ziemlich ins Schwarze.

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  3. achso :D
    klingt alles so real
    aber gut geschrieben

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